Eutonie

In der Klinik am Hainberg werden spezifische konzentrative Wahrnehmungsübungen angeboten, die in Anlehnung an die Lehre der Rhythmik-Pädagogin und Therapeutin G. Alexander als Eutonie bezeichnet werden. Eutonie bedeutet in diesem Zusammenhang eine „gute Spannung“ und bezeichnet den Zustand größtmöglicher Ausgeglichenheit, den ein Mensch erreichen kann und in dem er mit sich und seiner Umwelt leben sollte. Es handelt sich um eine körperorientierte Methode zur Harmonisierung psychophysischer Über- und Unterspannung. Grundsätzlich ist für die Eutonie-Gruppe der Patient geeignet, der gruppenfähig ist und die Bereitschaft zum intensiven Körpererleben und der damit verbundenen Auseinandersetzung mitbringt. Einschränkungen ergeben sich bei Patienten mit schwerer struktureller Ich-Störung bei denen eine tiefe Regression vermieden werden sollte. Auch stark ausgeprägte körperliche Erkrankungen wie hochgradiger Tinnitus oder akute Schmerzzustände werden in der Eutonie besonders verstärkt empfunden und blockieren somit den Zugang zur harmonisierenden Körperwahrnehmung. Auch Patienten die ihre internistische oder neurologische Grunderkrankung verleugnen, profitieren selten von diesem Verfahren.

Ein für diese Arbeit geschützter Raum der eine vertrauliche und geborgene Atmosphäre schafft sowie ein geschlossenes Gruppenformat mit gleich bleibenden Teilnehmern sind notwendige Rahmenbedingungen. Gearbeitet wird hauptsächlich im Liegen, vor allem in der Eutonie-Kennenlernphase, wobei sich das im Gruppenverlauf ändern kann und der Rehabilitand mit dem Arbeiten in anderen Ausgangslagen vertraut gemacht wird. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Der Körper ist in allen Angeboten Gegenstand der vollen Aufmerksamkeit. Der Patient konzentriert sich dabei auf die angesprochenen Körperbereiche und nimmt bewusst wahr, was dort geschieht.

Die inhaltlichen Schwerpunkte betreffen Kontakt- und Bewegungsübungen. Beim Bodenkontakt wird der Boden einerseits als Stütze erfahren, auf der man sich niederlassen und anvertrauen kann sowie getragen wird, und andererseits als Widerstand erlebt, auf dem man sich abstützen und von dem man sich aber auch abdrücken und aufrichten kann. Das bewusste Erleben in der eigenen Kraft stärkt das Selbstvertrauen, vermittelt das Gefühl von „Aufgerichtet-Werden“ und „Aufgerichtet-Sein“ ohne Überanstrengung.

Beim Hautkontakt findet über das wahrnehmende Sinnesorgan „Haut“ der Informationsaustausch zwischen Innen und Außen statt. Der Körper bekommt Informationen über Beschaffenheit und Eigenschaften des Gegenstandes oder der Person, mit dem er in Kontakt getreten ist. So wird die Haut als durchlässig für Kommunikation mit der Umwelt erfahren, aber auch als Schutz und Abgrenzungsmöglichkeit. Dadurch lässt sich eine bessere Balance zwischen Nähe und Distanz finden. Als Hilfsmittel werden Gegenstände wie Kirschkernkissen und Kastanienschläuche sowie verschiedene Bälle und Stäbe eingesetzt.

Bei den Bewegungsübungen der Eutonie handelt es sich hauptsächlich um spielerisches experimentelles Bewegen, ohne dass vorgezeigt, geholfen und korrigiert oder durch Musik und Rhythmus stimuliert wird. Der Patient wird vielmehr angeleitet selbst auszuprobieren und entsprechend seiner Möglichkeiten zu erfahren und zu wählen. In der Bewegung geht es um das Finden von eigenem Bewegungsrhythmus und –ausmaß. Aus dem zunehmenden Bewusstsein für Tonus, Richtung, Tempo und Rhythmus entstehen neue Bewegungsmuster und eine intensivere Erlebnisfähigkeit.

Die Eutonie ist für den Patienten wie eine „Entdeckungsreise durch den Körper“. Viele lernen auf diese Art und Weise den eigenen Körper neu kennen. Dadurch gibt es viele „Aha“-Erlebnisse die neugierig machen und zu einem weiteren Erkunden anregen. Durch das Entdecken der eigenen Körperlichkeit in seiner Eigenart und Individualität, seinen Qualitäten aber auch in seinen Einschränkungen entsteht eine Akzeptanz und Motivation den Körper mehr ins Bewusstsein zu heben und damit mit sich selbst und der Umwelt besser im Einklang zu sein. Dieses Verfahren eignet sich von daher besonders bei Patienten mit psychosomatischen und somatopsychischen Funktionsstörungen bei denen eine „ausgewogene Spannung“ erstrebenswert ist